Mittwoch, 23. April 2014

Alles dreht sich, alles bewegt sich ...

Am Anfang war ein Blog



Im Jahre 2009 hat ein (leider nicht mehr erreichbarer) Blog für einiges Aufsehen gesorgt:

Die Autoren von "Das Wiener Karussell" bereiteten sehr detailliert (und auf dem ersten und zweiten Blick offenbar auch gut recherchiert) der Internetgemeinde eine hochbrisante Theorie über ein im stillen arbeitendes Geflecht mehrerer Firmen auf.
Aus den Archiven dieses Blogs dürfen wir einige Zeilen zitieren (Namen von Personen wurden von uns unkenntlich gemacht):

"Es war Anfang 2008, als in Wien in einem Gebäude in der Argentinierstraße 38, Ecke Belvederegasse 18 ein neues Gewinnspiel-Geschäftsmodell das Licht der Welt erblickte. Zu diesem Zeitpunkt verlegte die Firma LUCK24 IT-Service und Fulfillment GmbH ihren Firmensitz hier hin. An dieser Stelle befinden sich die Zentralen zweier Callcenter, der B&W Telecommunication Services GesmbH und die I.D.T.S. Data and Telecommunication Services AG, die auch schon mal ihre Adressen untereinander tauschten.
Die drei Firmen sind eng miteinander verflochten. So ist z.B. ein Mitglied der Geschäftsleitung der I.D.T.S. gleichzeitig Aufsichtsrat des Hauptgesellschafters der Luck24. Die ROWA Privatstiftung hält 60% der Firmenanteile und ist eine "Wohltätigkeitsorganisation" die sich der "Förderung der technologischen Forschung" widmet.
Die LUCK24 GmbH war bereits früher in diesem Gebäude ansässig und nannte sich damals noch LUCK24 Lottotippgemeinschaften GmbH. Im Gepäck hatte die Firma einen Support-Auftrag für Axxx Gxxxxxx Eurowin GmbH für Lottospieler aus Österreich."

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"Außerdem kannte man sich gut. Gxxxxxxs Eurowin GmbH hatte ihren Sitz im selben Raum in der Schottenfeldgasse 48a wie Sxxxxx Pxxxxx von Axxxx Rxxxx Kxxx's InnoPro s.r.o, die später auf vielen Gewinnspielseiten als Betreiber auftauchte.
"Gxxxxx" ist ein bekannter Name, besonders in Verbindung mit dem Gewinnspiel der SKL. Die Familie Gxxxxx aus dem Schwäbischen betreibt vorwiegend in Deutschland viele weitere Gewinnspielfirmen. Unter bislang ungeklärten Umständen tauchten nun bei der LUCK24 große Teile der Kundendaten deutscher SKL-Teilnehmer auf...
Wie es der Zufall will, wechselten zu der Zeit gerade die Geschäftsführer der B&W GmbH und der I.D.T.S. In beide Firmen trat besagter Axxxx Rxxxx Kxxx ein, der früher Geschäftsführer bei der Call Base GmbH in Ratingen war und über seine deutschen, spanischen und slowakischen (Briefkasten)firmen in zahlreiche Betrügereien mit Premiumrufnummern verwickelt ist.
Zusammen mit der LUCK24 wurde ein Geschäftsmodell entwickelt, das auf der Kundendatenbank der Gewinnspieler beruht, die der SKL bekanntlich auf seltsame Weise abhanden kam. Die Kundendatenbank enthält nicht nur Namen, Anschriften, Rufnummern usw., sondern in vielen Fällen auch die Bankverbindungen.
Für jeden Kunden aus der Datenbank wurde ein eigenes Profil erstellt, das neben den vollständigen Adressdaten und Bankverbindungen unter anderem auch Anmeldedaten für eine eigene Profilwebseite enthält - bestehend aus einer Mailadresse und einem Passwort. Zu diesem Zweck wurden von Axxxx Rxxxx Kxxx und der InnoPro auf den Servern der LUCK24 zahlreiche Mail-Dienste mit vielen tausend Kundenprofilen eingerichtet. Diese Kundenprofilseiten sollten später auch als Beweis für eine tatsächliche Anmeldung dienen."

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"Dann wurden reihenweise Postfächer in Niederaula und Österreich angemietet ... Postfach 2415, 36243 Niederaula: Spielfox, Top200
Postfach 2427, 36243 Niederaula: Gute Zeiten 24
Postfach 2428, 36243 Niederaula: Sofortrente aktiv, Sofortrente plus
Postfach 2429, 36243 Niederaula: Just Win
Postfach 2439, 36243 Niederaula: Media Star
Postfach 2440, 36243 Niederaula: Cash Win
Postfach 2447, 36243 Niederaula: Media Win
Postfach 2464, 36243 Niederaula: Direktrente aktiv
Postfach 2465, 36243 Niederaula: game4you
Postfach 2472, 36243 Niederaula: Meine Vorteilswelt
Postfach 2473, 36243 Niederaula: Club Aqua Winn
Postfach 2493, 36243 Niederaula: Deutsche Gewinnerzentrale
Postfach 33, A-2230 Gänserndorf: Top200
Postfach 34, A-2291 Lassee: Premiumwinner
Postfach 36, A-2291 Lassee: Spielfox
Postfach 44, A-2304 Orth a. d. Donau: Deutscher Supertipp
Postfach 45, A-2304 Orth a. d. Donau: Gwinchance
Postfach 50, A-2421 Kittsee: Expresstipp, Wintipp88
Postfach 71, A-1150 Wien: Gewinn Chance Europa, Gewinntraum
Postfach 72, A-1150 Wien: Gewinnkomet, Startipp200, Tippline, Tipp Tresor
Postfach 76, A-1040 Wien: Eurochance49, Fortuna24
... und zahlreiche 01805-Nummern geschaltet. Viele gleich im Zehnerpack oder noch mehr."
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"Anschließend wurden zahllose Webseiten von "Gewinnspieldiensten" auf den Servern der LUCK24 im Internet platziert. Die Impressen enthalten abenteuerliche Firmenangaben an den exotischsten Adressen, die z.T. gar nicht existieren. Als Kontakt und Support-Nummern wurden dann die Postfächer und 01805- Nummern eingesetzt, die aber immer zu den gleichen Callcentern gehen. Die Anzahl dieser Webseiten liegt wohl im dreistelligen Bereich.
Die Internetseiten wurden mit einen Login-Bereich versehen, auf dem sich Kunden bei Bedarf in "ihrer Profilseite" einloggen können. Alle Anmeldungen landeten schließlich auf den Webseiten von Kxxxx's Mail-Diensten.
Jetzt konnte das Abzocken beginnen. Unter großem Aufwand wurden von beauftragten Callcentern die Kunden systematisch angerufen und ihnen unterstellt, sie hätten bei einem der besagten Gewinnspieldienste einen Vertrag abgeschlossen. Bei fehlenden Kontoverbindungen wurden diese zwecks "Widerruf" abgefragt, um anschließend dennoch dreist für die angeblichen Verträge abzubuchen.
Bei vielen Kunden mit vorhandenen Bankverbindungen wurde sofort und ohne Nachfrage das Geld von den Konten geholt. Die betroffen Opfer haben die illegalen Abbuchungen oftmals nicht oder erst nach Monaten bemerkt und gaben stehts an, noch nie etwas von den dubiosen Gewinnspieldiensten gehört oder eine Einzugsermächtigung erteilt zu haben. Viele waren überrascht, dass die anrufenden Callcenter im Besitz von vollständigen Adress- und Bankdaten waren.
Das System der Abbuchungen überschlug sich schließlich derart, dass mitunter ein Dutzend verschiedener Gewinnspieldienste bei ein und demselben Kunden Geld vom Konto holte. Aber immer landete das Geld auf den von Kxxxx und der LUCK24 zentral verwalteten Konten.
Andere Callcenterbetreiber sprangen auf das Karussell auf, um sich ihren Teil vom Kuchen zu holen. Die Bxxxxxxxx's aus Berlin, Dxxxxx Pxxxx und Txxxxxx Sxxxx aus Paderborn, die MEGALON-Gruppe aus Hamburg und viele andere. Nxxxx Pxxx und seine Abzockseiten haben inzwischen ein eigenes Netzwerk, aber auch von ihm liegen noch Seiten bei der LUCK24.
Immer mehr deutsche Callcenter beteiligten sich am Run auf das Geschäftsmodell und benutzen Tarnadressen in der Schweiz, der Slowakei, der Türkei und auf Zypern. Fxxxxx Exxxx (mc mobile communication GmbH, S&S Support and Service GmbH) fügte wie üblich seine karibischen Fantasiefirmen auf Tortola hinzu und baute sich kurzerhand ein eigenes Karussell.
Mit der Anzahl der Callcenter ("Karussellfahrer") wurden die Kundendaten immer weiter verteilt und geistern heute unkontrollierbar durch die Welt."
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Soweit und sehr rudimentär die damalige Mitteilung der anonymen Betreiber des Blogs.  (das Archiv-Dokument können Sie hier anfordern)

Nahezu zeitgleich kam es in Deutschland und Österreich zu immer mehr Beschwerden von VerbraucherInnen wegen unerklärbarer Abbuchungen, "Spielteilnahmen", die entweder nie gewollt waren, oder nicht erklärbar waren und zu den ersten Anzeigen.

Nach und nach wurden mehrere Blogs ins Leben gerufen, die alle über ein Netzwerk berichteten, das im Hintergrund die Fäden zu diesen Abbuchungen und Spielteilnahmen ziehen soll. Der Begriff "Wiener Karussell" wurde sehr schnell zu einem Überbegriff für ein neues Phänomen:
Abzocke mittels Cold Calls.
Und immer wieder zeigten die Spuren nach Wien und zur Luck24.

2010 schließlich wurde eine sehr umfangreiche Sachverhaltsdarstellung eines ehemaligen Geschäftsführers eines der am "Wiener Karussell" beteiligten Firmen (Innopro s.r.o.) bei der Staatsanwaltschaft Wien eingereicht.

Ein sehr guter Blog ist der des schweizer Journalisten Christian Bütikofer, der im Februar einen bemerkenswerten Artikel zu dem Thema verfasst und online gestellt hat:


Fast auf dem Tag genau nach vier Jahren wird diese Causa nun vor dem Landesgericht für Strafsachen in Wien verhandelt.
Dieser Blog soll darüber berichten.